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Aus transcribe europeana 1914-1918
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In unserem Garten schlug eine "Schwere" bei dem Birnenbaum ein. Ein Feldw. von der 9. ist verwundet u. sein Melder tot. Von der 4. K. sind 4 Tote, 6 Verwundete. Am Abend lösten ich Gruppe Blume ab. 2.9.17. Der Tag verlief auf dem Stützpunkt ziemlich ruhig. Nachts, wie immer geschanzt. 3.9.17. Heute regnet es wieder. Ich habe schon was zurecht geschimpft. Abends meine Bude wetterdicht gemacht. Am Abend kam Oberst v. Gottberg die Stellung durch. 4.9.17 Heute hat der Russe das Gehöft, in dem unser rechter Stützp. liegt kaputt geschossen. Der Hund war ganz verrückt. Immer Schlag auf Schlag. Nur 2 Gebäude stehen, das andere ist alles abgebrannt. Wieder gab es einige Tote u. Verwundete. Vizefeldw. Wabnik war am Abend ganz verzagt trotzdem Lükfeld ihn aufheitern wollte. 5.9.17. Heute ist es ziemlich ruhig gewesen. Am Abend Lükfelds Kuchen gegessen. Tagsüber Karten gespielt. 6.9.17. Bis jetzt nichts Besonderes. Jetzt gerade hört man vielfach von unseren Erfolgen auf allen Kriegsschauplätzen. Im Westen trotzt die Mauer((?)) von Fleisch u. Stahl jedem noch so wütenden Angriff eines überlegenen Feindes. Im Südosten ist der Russe aus Österreich vertrieben worden. In Rumänien geht es vor. Im Osten ist Riega, das sich solange gehalten hat endlich gefallen. England wird durch unsere U-Bote weiter geschädigt usw. Bringen die Siege uns nun dem Frieden näher? Ich glaube eher das Gegenteil. Je mehr Siege, destomehr Forderungen, auf die kein friedl. Staat eingeht. Nicht nur die Feinde möchten müßten endlich zur Vernunft kommen, sondern auch wir. Sonst siegen wir uns zu Tode u. müssen zum Schlusse doch klein beigeben. Oder will man etwa warten bis Frankreich u. England ausgehungert sind!?? Das könnte doch noch einige Jahre dauern. Währenddessen verblutet die Jugend Deutschlands auf den Schlachtfeldern. Von einem Tag zum andern wartet der arme Feldgraue((?)) auf ein Anzeichen, das ihm den Frieden bringen soll. Viele begrüßen noch einen neuen Sieg als Friedenshoffnung und wissen gar nicht, wie sehr sie sich irren. Die meisten haben natürlich schon einsehen gelernt, daß Siegen nur Opfer kostet u. nicht viel einbringt. Weshalb auch Länder erwerben?

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Dieses ist doch nur die Grundlage zu einem neuen Krieg. _ Bei uns in der Heimat wird ebenfalls viel auf den Krieg geschimpft, aber bei jeder neuen Siegesmeldung sind gerade die, die sonst das größte Maul haben, die eifrigsten Hurrarufer. Es verfehlt nie den Eindruck auf einen Deutschen, wenn Glocken läuten u. Fahnen wehen! _ Gerade dessen, der Tag u. Nacht bis zur Erschlaffung tätig ist sein muß, der sich in solchen Zeiten oft mit dem kläglichen Essen begnügt u. zuletzt sein Blut fürs' Vaterland dahingibt, dessen wird am wenigsten gedacht. Und wie wird der Mann im grauen Kittel in der Heimat behandelt?! Mit scheelen Augen wird er überall angefahren, ob er nicht etwas ohne Geld verlangt. Man wundert sich in den meisten Städten darüber, daß gerade die schlechtesten Gastwirtschaften immer von Soldaten aufgesucht werden. Mich wundert es nun nicht u. solche Leute, die den Soldaten deshalb verurteilen, haben natürlich keine Ahnung, daß er dazu direkt gezwungen ist. Um der tötlichen Langeweile der Kaserne zu entfliehen geht der Soldat ins Gasthaus. Er hat das Bedürfnis mal fröhliche Gesichter zu sehen u. unter lustigen Menschen zu sein. Geht solch ein Mensch nun in ein besseres Restaurant so muß er schon an der Tür sein "Männchen" machen. Still setzt er sich in eine Ecke u. unterhält sich im Flüstertone, während die Augen auf die gestrengen Herrn vorgesetzten ruhn. Auf Getränke kann er stundenlang warten, da der Herr Ober erst die vornehmen Gäste bedient. Ja direkt gedemütigt wird man in solchen Lokalen. So hörte ich in Königsberg wie so ein 16 jähriger Bengel von Ober zu einem älteren verwundeten Feldgrauen beim Betreten eines Kaffees sagte: "Für Sie ist der Aufenthalt hier verboten!" und noch dazu in einem Ton? Da wundert man sich nun, daß der Soldatenstand so verrufen ist. Die Behandlung im Felde spottet jeder Beschreibung. Man hat sich das Verhältnis von Vorgesetzten zum Untergebenen als ein ideales vorgestellt. Es ist auch ein ideal - grober! Wenn man so einen Vorgesetzten von abends bis morgens in der Arbeitszeit dauernd schimpfen hört, daß es bis zum Russen zu hören ist, da hat man wirklich genug. Bei jeder geringsten Gelegenheit bekommt der Mann die häßlichsten Schimpfworte an den Kopf geworfen. Das geringste Vergehen wird