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bleiben wir recht lange hier. Es ist zwar viel Dienst u.[nd] wenig Essen, aber doch noch besser als im Schützengraben. _ Am 16.12.17 (Sonntag) waren wir nach Bollingen [= Boulange, Frankreich] zum Baden gegangen. Dieses Dorf liegt schon in Deutschland. Es sind etwa 2 Km bis dort hin. Am Abend gingen Böttcher u.[nd] ich noch einmal hin, um ein paar hinter die Binde zu gießen. In der 1. Kneipe war nicht viel los. Also auf zur 2. Wir gerieten einem Gesangsverein ins Gehege, der uns durch seine Stimmen vertrieb. Es waren Leute von der Zeche, die dort übten. In der 3. Kneipe, die wir auf unserem Rückweg besuchten, wurde es gemütlich. Böttcher traf 2 bekannte Artilleristen mit denen wir bis 12 Uhr festaßen((?)). Man fühlt sich ganz wohl in solch einer Deutschen Kneipe. _ Gestern (18.12.) war ein ereignisreicher Tag, trotzdem es anfing wie alle Tage. Wir machten eine Marschübung. Unterwegs sagte schon Feldw.[ebel] Didzuneit((?)): "Wir rücken ab." Natürlich große Bestürzung allenthalben. In unserem Orte angekommen hieß es: "Sofort packen u.[nd] antreten". Es ging alles wie wild. Eiserne Portionen wurden empfangen u.[nd] dann gings nach Serouville [= Serrouville, Frankreich] dort stand schon das II. Batl. Wie sich herausstellte war es nur eine Brigadeübung. Wir standen über 2 Stunden und bekamen Eisbeine. Faßt jeder aß sein Brot, daß für den anderen Tag bestimmt war, auf; denn Mittagessen hatten wir noch nicht bekommen. Endlich kamen die hohen Herren zu uns u.[nd] kontrollierten die Sachen. Ich kam in großen Druck, da ich keine Patronen mithatte. Ich behauptete aber, als Oberst v. Gottberg((?)) mich fragte, ich hatte 60 Stück u.[nd] zeigte Untffz. Hirschberger((?)) seine Patronen vor. Es ging alles gut. Frechheit siegt! Natürlich denkt der Herr Oberst man kann es gar nicht machen ihm mal die St...((?)) zu drehen. Endlich war auch der Schmerz((?)) vorüber u.[nd] wir konnten abrücken. Um 4 Uhr kamen wir in unsere Quartiere u.[nd] empfingen Essen. Kohlblätter mit Wasser. (Fußlappen) Es ist z. Zt. eine ganz elende Kohldampfschieberei bei uns. _ Heute hatten wir wieder einmal Besichtigung. Herr Hauptmann von Creÿz und Oberst v. Gottberg((?)) sahen sich die 10. u.[nd] 12. Komp.[anie] in der Abwehrschlachtan. Anständig

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gefroren haben wir wieder. Nach einem Parademarsch in Gruppenkollonnen schloß die Feier, bei der wieder sehr teure Zigarren verteilt wurden. Vorher hat der Herr Hptm. [= Hauptmann] noch eine Ansprache gehalten in der er erwähnte, daß in Rußland mit dem Panje [= polnischer oder russicher Bauer] Karten gespielt wird u.[nd] daß wir in der Zeit den Ruhm des Regiments aufrecht zu erhalten haben. Also immer feste druff! 21.12.17. Heute hatten wir eine große Batl..Übung, wobei der Herr Oberst zugegen war. 23.12.17. Heute Sonntag. Wieder einmal in Bollingen ((?)) gewesen. In dem 1. Gasthaus, das Hirschberger ((?)) u.[nd] ich heimsuchten, feierten die ...((?)) Gemeinde Weihnachten. Wir ergriffen die Gelegenheit um auch etwas von der allgemeinen Stimmung mit zu nehmen. Doch konnte da keine rechte Andacht hineinkommen((?)), weil geraucht, getrunken u.[nd] gescherzt wurde, trotzdem die Gesänge u.[nd] Vorstellungen ganz nett waren. _ Dann trafen wir Pennigsfeld, Schippling u.[nd] Böttcher ((?)) u.[nd] machten uns nach dem Gasthaus an der Zeche auf. Hier saßen schon die beiden Artillersiten vom vorigen Sonntag. Haben einen ganz fidelen Abend verlebt. 24.12. Heiliger Abend! Wie freudig, feierlich war man sonst daheim an diesem Tage gestimmt. Jetzt werden wohl meine Lieben daheim auch unter dem Tannenbaum stehen und die schönen, alten deutschen Weihnachtslieder singen. Werner wird vielleicht schon versucht haben, sein neues Spielzeug kaputt zu machen. Und derweilen sitze ich hier u.[nd] starre in das Licht unseres bescheidenen Bäumchens u.[nd] denke, denke. Immer weiter verlieren sich die Gedanken man vergißt schließlich die ganze Umgebung. Wer es nicht selbst durchgemacht hat fern der Heimat unter feindlich gesinnten Menschen, den Tod stets vor Augen, das schönste der Feste zu begehen, kann sich gar keine Vorstellung machen, wie es einen ums Herz ist. _ Bei der Bescherung hielt Lt. [Leutnant] Heinrich eine Ansprache. Er ist wirklich kein großer Redner, aber auch die einfachsten, unbeholfensten Worte dringen einem an solch einem Tage zu Herzen. Mit den Gaben war wohl die Mehrzahl zufrieden. Ich bekam ein Buch, ein Notizbuch, Seife, Schokolade, Tabak, Zigarren u.[nd] Zigaretten. Lt. Heinrich u.[nd] Feldw.[ebel] Schrock((?)) sind die Quartiere